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DOKUMENTATION

"Über die politische Bewertung des Beschlusses über den Einmarsch sowjetischer Truppen nach Afghanistan im Dezember 1979"

 Mitteilung von A. S. Dzasochov vom 24. Dezember [1989] vor dem Kongreß der Volksdeputierten der UdSSR in Moskau.

 Verehrte Volksdeputierte! Entsprechend dem Auftrag des ersten Volksdeputierten-Kongresses, eine politische Bewertung des Beschlusses über den Einmarsch sowjetischer Truppen nach Afghanistan zu erarbeiten, hält das Komitee des Obersten Sowjets der UdSSR für internationale Angelegenheiten es für notwendig, folgendes vorzutragen. Die Mitglieder des Komitees machten sich mit den den Einmarsch der sowjetischen Truppen betreffenden Dokumenten der sowjetischen Regierung und des ZK der KPdSU, den Materialien des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, des Ministeriums für Verteidigung und des Komitees für staatliche Sicherheit vertraut. Es fanden Gespräche statt mit vielen Personen, die Ende der siebziger Jahre verantwortliche Posten in Partei- und staatlichen Organen innehatten, Militärführern, Diplomaten, den Leitern verschiedener Behörden, die mit der Entwicklung der sowjetisch-afghanischen Beziehungen verbunden waren. Dieses Problem wurde, meist im Verlaufe scharfer Diskussion, auf den Sitzungen des Komitees erörtert. An ihnen nahmen Volksdeputierte der UdSSR, Vertreter anderer Komitees des Obersten Sowjets, Militärs, die in Afghanistan waren und eine ganze Reihe Experten teil.

Im Ergebnis einer gründlichen Analyse der vorhandenen Fakten kam das Komitee zu dem Schluß, daß die Entscheidung für einen Einmarsch sowjetischer Truppen nach Afghanistan moralisch und politisch zu verurteilen ist. Die allgemeine internationale Lage, in der die Entscheidung gefaßt worden war, war zweifellos schwierig und gekennzeichnet von scharfer politischer Konfrontation. In dieser Situation gab es in bestimmten Kreisen der Vereinigten Staaten von Amerika Vorstellungen über das Vorhaben, in Afghanistan Revanche zu nehmen für den Positionsverlust nach dem Sturz des Schah-Regimes im Iran. Die Fakten deuteten auf die Möglichkeit einer solchen Entwicklung der Ereignisse.

In den dem Einmarsch der Truppen folgenden offiziellen Erklärungen wurde als ein Motiv der vorgenommenen Aktion das Bestreben genannt, die Sicherheit der Sowjetunion in den Vorgeländen zu den südlichen Grenzen zu festigen und dadurch ihre Position in der Region in Zusammenhang mit der Spannung, die zu dieser in Afghanistan entstand, zu bewahren. Die Elemente einer bewaffneten Einmischung von außen nahmen zu. Es gab Appelle der afghanischen Regierung an die sowjetische Führung um Hilfe. Es ist dokumentarisch belegt, daß die afghanische Regierung beginnend vom März 1979 mehr als zehn Mal Bitten um die Entsendung sowjetischer Armee-Einheiten aussprach. In der Erwiderung lehnte die sowjetische Seite eine solche Form der Hilfeleistung mit der Erklärung ab, daß die afghanische Revolution sich selbst verteidigen müsse. Jedoch, im weiteren Verlauf unterlag diese Position, sagen wir, dramatischen Veränderungen.

Auf die Beschlußfassung im Dezember 1979 hatte zweifellos die außergewöhnliche Ideologisierung der sowjetischen außenpolitischen Tätigkeit Einfluß, die sich im Verlaufe einer Reihe von Jahren unter der unmittelbaren Einwirkung der seinerzeit dominierenden ideologischen Richtlinien herausbildete. In diesem Lichte entwickelte sich bekanntermaßen auch unser Verhältnis zur Aprilrevolution. Die diesen Ansichten entsprechende Argumentation wurde der Adresse der sowjetischen Führung an ausländische Staatsoberhäupter im Zusammenhang mit der Entsendung unserer Truppen nach Afghanistan zu Grunde gelegt. In ihr wurde darauf verwiesen, daß von einer begrenzten Aufgabenstellung die Rede ist - dem Beistand beim Schutz der Verbindungsstraßen und einzelner Objekte. Alle diese Umstände können jedoch nicht den Beschluß über den Truppeneinmarsch rechtfertigen.

Allen ist bekannt, wie sich die Ereignisse weiterhin entwickelten. Die Auseinandersetzungen wurden heftiger und weiteten sich aus. Das sowjetische Militärkontingent sah sich in eine Eskalation militärischer Operationen großen Ausmaßes verwickelt. Es verschärften sich die internationale Spannung, Mißtrauen, der militär-politische Wettstreit zwischen Ost und West.

Die Anwendung von Methoden der Stärke fügte der Autorität der sowjetischen Politik unter einem bedeutenden  Teil der internationalen Öffentlichkeit Schaden zu. Mit dieser Aktion stellten wir uns gegen die Mehrheit der Weltgemeinschaft, gegen die Verhaltensnormen, welche im internationalen Umgang angewandt und beachtet werden müssen. Die zahlreichen Verletzungen dieser Normen durch andere Staaten, die sowohl damals als auch, bedauerlicherweise, in der letzten Zeit vonstatten gingen, dürfen nicht als Vorwand zur Rechtfertigung ähnlicher Handlungen seitens unseres Staates dienen. Das Komitee stellt fest, daß der Beschluß über den Einmarsch der Truppen gefaßt wurde in Verletzung der Verfassung der UdSSR (Bestimmung des Artikels 73, Punkt 8), dem entsprechend, ich zitiere, „die Fragen von Frieden und Krieg, die Verteidigung der Souveränität, der Schutz der Staatsgrenzen und des Territoriums der UdSSR, die Organisation der Verteidigung, die Leitung der Streitkräfte der UdSSR“ der Kompetenz der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in Person seiner höchsten Organe der staatlichen Macht und Leitung unterliegen.

In diesem Kontext teilen wir mit, daß der Oberste Sowjet der UdSSR und sein Präsidium die Frage über den Einmarsch von Truppen in Afghanistan nicht behandelten. Der Beschluß wurde von einem engen Personenkreis gefaßt. Wie das Komitee für internationalen Angelegenheiten feststellte, versammelte sich nicht einmal das Politbüro in voller Zusammensetzung zur Beratung dieser Frage und die Fassung eines Beschlusses zu ihr. Eine politische und militärische Einschätzung der Truppenentsendung nach Afghanistan gebend, ist es notwendig, dies ist unsere Pflicht, die Namen derjenigen zu nennen, die, sich mit der Bearbeitung der wichtigsten außenpolitischen Fragen seit der Mitte der 70er Jahre befassend, den Beschluß über den Einmarsch sowjetischer Truppen faßten. Das ist Leonid Iljitsch Brezhnev, damals die Posten des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets unseres Landes, des Vorsitzenden des Verteidigungsrates und des Obersten Befehlshabers der Streitkräfte der UdSSR einnehmend; das sind der ehemalige Minister für Verteidigung Ustinov, der ehemalige Vorsitzende des Komitees für staatliche Sicherheit Andropov, der ehemalige Minister für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR Gromyko.

Gleichzeitig wäre es unzureichend, die Angelegenheit nur der persönlichen Verantwortung einzelner politischer Funktionäre zuzuschreiben. Die Verwirklichung solcher bedeutenden, geradezu dramatischer Aktionen unter Umgehung der höchsten Organe der Staatsmacht des Landes und ohne Teilnahme des Volkes wurde möglich infolge ernsthafter Mängel im System der Festlegung der praktischen Politik und im Mechanismus der Beschlußfassung. Es ist anzumerken, daß entsprechend der zu dieser Zeit gereiften Praxis, die genannte Entscheidung, wäre sie einem beliebigen der Gremien zur Beratung vorgelegt worden, wohl eher angenommen wäre. Die Partei, das Volk, unsere ausländischen Freunde wurde praktisch vor vollendete Tatsachen gestellt

Die Politik, die sich auf das neue Denken stützt, beabsichtigt, die Möglichkeit der Wiederholung irgendeiner ähnlichen Aktion wie 1979 auszuschließen. Es muß in den höchsten Machtorganen eine reale Kontrolle der Ausarbeitung und Durchführung des außenpolitischen

S.15)

Kurses des Sowjetischen Staates mit einer bestimmten Garantie eingerichtet werden. Die Außenpolitik muß immer unter Kontrolle des Volkes sein.

Besonders wichtig ist, wie wir meinen, eine verläßliche und strikte Kontrolle der Ausarbeitung und Fassung von Beschlüssen, die mit dem Einsatz der Streitkräfte der UdSSR verbunden sind. In dieser Hinsicht müssen klare und deutliche konstitutionelle Normen existieren. Die Außenpolitik der Sowjetunion, die Genfer Abkommen über Afghanistan und den Abzug der sowjetischen Truppen aus diesem Land ermöglichte, ist dem Geist und den Aufgaben der Perestroika[2] verhaftet, ist ihr organischer Bestandteil. Die Zeit, die seit der Rückkehr der sowjetischen Truppen aus Afghanistan verstrichen ist, zeigt, daß die Regierung Afghanistans und ihre nationalen Kräfte fähig zur selbständigen Bestimmung des Schicksals ihres Landes sind, sie den Versuchen der bewaffneten Opposition, bewaffnete Entscheidungen aufzuzwingen, eine Abfuhr erteilen (worüber in jüngster Zeit viele Mitteilungen eintreffen). Es ist zu bemerken, daß Präsident Nadshibullah den sowjetischen Herangang an den Abzug des sowjetischen militärischen Kontingents mit Verständnis aufnahm und aktiv unterstützte. Die politische, diplomatische Tätigkeit in der Republik Afghanistan gewinnt an Stärke. Unter Berücksichtigung aller Umstände erscheint in Fortsetzung der politischen und moralischen Unterstützung des afghanischen Volkes ein weiteres Erweisen von Beistand für die Republik Afghanistan, die Entwicklung der Zusammenarbeit mit diesem Land entsprechend den bilateralen staatlichen Vereinbarungen begründet.

Verehrte Volksdeputierte! Die Entscheidung über den Einmarsch sowjetischer Truppen politisch und moralisch verurteilend, hält es das Komitee für notwendig zu erklären, daß es in keinster Weise die nach Afghanistan entsandten Soldaten und Offiziere kritisiert[1]. Getreu dem Eid, überzeugt, daß sie die Interessen der Heimat verteidigen und einem Nachbarvolk freundschaftliche Hilfe erweisen, erfüllten sie nur ihre soldatische Pflicht. Das sowjetische Volk verlor in Afghanistan tausende seiner Söhne. Unsere heilige Verpflichtung ist es, ihr Andenken als wahrhafte Söhne des Vaterlandes zu bewahren. Ich bitte, dem Andenken unserer gefallenen Genossen eine Schweigeminute zu widmen.

(Schweigeminute).

Wir sind verpflichtet, den Mut jener, die solche Prüfungen durchliefen, gebührend zu schätzen, für sie zu sorgen, sie bei der Verwirklichung ihrer Lebenspläne zu unterstützen, den Invaliden und den Familien der Gefallenen allseitige Hilfe und Unterstützung zu erweisen.

Das Komitee des Obersten Sowjets für internationale Angelegenheiten hält es für nötig, die politische Bewertung über den Einmarsch sowjetischer Truppen durch einige praktische Vorschläge zu ergänzen. In der Verfassung der UdSSR, den legislativen Akten ist bis zur Gegenwart kein Mechanismus für die Beschlußfassung über den Einsatz der Streitkräfte außerhalb unserer Landesgrenzen definiert. Die Verfassung enthält nur allgemeine Bestimmungen, denen entsprechend der Oberste Sowjet die Entscheidung über den Einsatz eines Kontingents der Streitkräfte der UdSSR im Falle der Notwendigkeit der Erfüllung internationaler vertraglicher Verpflichtungen zur Erhaltung des Friedens und Sicherheit trifft.

Es ist erforderlich, das Reglement für den Einsatz der Streitkräfte in einem speziellen Gesetzesakt zu konkretisieren. Außerdem ist die Bestimmung über den Verteidigungsrat der UdSSR von Grund auf mit den verfassungsrechtlichen Normen in ein Verhältnis zu bringen. Diese aktuelle Aufgabe könnte im Kontext mit der Arbeit an der zukünftigen neuen Verfassung unseres Landes realisiert werden.

Nach Meinung des Komitees wäre es sinnvoll, im Rahmen des Obersten Sowjets eine Kommission für die Angelegenheiten ehemaliger Militärangehöriger des Kontingents der sowjetischen Truppen in Afghanistan zu schaffen. Analoge Maßnahmen sollten, wie wir meinen, auch auf der Linie des Ministerrates der UdSSR ergriffen werden. Wir halten es für notwendig , den zweiten Kongreß[2] über den Vorschlage vieler Volksdeputierter und Vertreter der Öffentlichkeit unseres Landes zu informieren, den Tag des Abschlusses des Abzuges der Truppen aus Afghanistan, d.h. den 15. Februar, zu einem Tag des Gedenkens zu erklären.

Also, verehrte Volksdeputierte, war das Komitee bemüht, kraft seines Mandates, das ihm vom ersten Kongreß der Volksdeputierten gegeben wurde, zumindest[3] eine politische Bewertung genau des Faktes des Truppeneinmarsches in Afghanistan zu erarbeiten. Die vorhandenen Materialien geben , wie bereits erwähnt, unserer Ansicht nach ausreichende Begründungen für die Ihnen vom Komitee vorgeschlagene Hauptschlußfolgerung.

Meine Mitteilung beendend, stelle ich fest, daß in der historischen Rückschau der Krieg in Afghanistan noch eine lebendige, heutige Geschichte ist, deren Teilnehmer außer der Sowjetunion auch viele [andere] politische und soziale Kräfte sind. Es steht eine große und vielseitige Arbeit von Politikern, Diplomaten, Gelehrten für eine allseitige Bewertung dieses, des ganzen Dramatismus, des historischen Ereignisses bevor.“

 

Übersetzung aus „Vestnik Ministerstva inostrannych del SSSR“, Moskva, No. 2 (60), 31.01. 1990.; S. 14 f. [Dokumente des zweiten Kongresses der Volksdeputierten der UdSSR].

Aus dem Russischen, Ralph Kühn.



[1] Wörtlich: „... keinen Schatten auf die nach Afghanistan entsandten Soldaten und Offiziere wirft“ („... ne brosaet tenh na soldat i officerow, ...“

[2] der Volksdeputierten

[3] „nur“ ?? („liš“)

 

Veröffentlicht in "Mahfel - Nachrichten aus West- und Mittelasien", Berlin, Nr. 48 [5/1995].

 

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