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Pakistan (NWFP) |
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Ralph Kühn Vortrag am 17. Januar 1996 Projektseminar "Konflikte in Südasien" (Prof. Dr. D. Weidemann, Dr. E.-M. Hexamer) Lehr- und Forschungsgebiet "Internationale Beziehungen in Asien und Afrika" der Humboldt-Universität zu Berlin. Autonomiebestrebungen in der North-West Frontier Province vor dem Hintergrund des Nationalstaatskonzeptes Pakistan(bis Mitte der 1980er Jahre)Gliederung: I.
Zur Staatsgründungsidee Pakistans: die Zwei-Nationen-Theorie II.
Grundlagen der Autonomiebewegung in der NWFP; I. "Islam had given birth to Pakistan, thus providing the ideological basis for a state that lacked any of the usual prerequisites for a nation-state - territorial integrity, sense of national community, or linguistic unity. Tribalism, regionalism (the Punjabi, Baluchi, Sindhi, and Pashtun), and linguistic diversity (five major linguistic families and thirty-two spoken languages) abound."[1]
Ausgangspunkt der Teilung Indiens in zwei Staaten unter religiösen Kennzeichen ist die koloniale Herrschaft Großbritanniens auf dem Subkontinent. Nach Beendigung seiner Eroberung betrieb die britisch-indische Administration aus machtpolitischen Erwägungen heraus eine zielgerichtete Instrumentalisierung und Politisierung der vorgefundenen sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Gegensätze zwischen den muslimischen und hinduistischen Bevölkerungsgruppen. Teil dieses Vorgehens war u. a. die Billigung und Unterstützung der Gründung der All India Muslim League im Jahre 1906 zur Nivellierung des Einflusses des 1885 gegründeten Indian National Congress. Die Morley-Minto-Reformen verankerten 1909 getrennte Wahlkreise und gesonderte gesetzgebende Vertretungen für Hindus und Muslime im politischen System Britisch-Indiens. Bekräftigt wurde diese Zweiteilung politischer Vertretung durch den Government of India Act 1919, den Government of India Act 1935 u.ä. und gipfelte schließlich im Mountbatten-Plan zur Teilung Indiens in zwei Dominions unter religiösen Kennzeichen 1947 und der impliziten Anerkennung der Zwei-Nationen-Theorie als politisches Argument. Inhalt der Zwei-Nationen-Theorie ist die Deklarierung der indischen muslimischen Bevölkerungsgruppe als eine nationale Minderheit, der das Recht auf politische Selbstbestimmung [= Recht auf Sezession und Eigenstaatlichkeit] nicht vorenthalten werden dürfe.[2] Sie gipfelt in ihrer Konsequenz in der Erklärung der Lahore-Konferenz der Muslim-Liga (Forderung nach einem separaten Staat Pakistan für die indischen Muslime) [3] am 23. März 1940. Er sollte mit dem Abzug der Briten vom indischen Subkontinent auf dem Territorium der muslimischen Mehrheitsprovinzen Punjab, Sind, Baluchistan, NWFP und Ost-Bengalen ins Leben gerufen werden.[4] Die ungeheure Vielzahl von politischen, wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Problemen nach der Ausrufung des unabhängigen Staates Pakistan, die in dieser Form von der Führung der ML nicht vorausgesehen worden waren [5], wirkte sich nachhaltig auf die Vorgehensweise der mit M. A. Jinnah als Governor-General an die Regierung gelangten Muslim League aus. Große Schwierigkeiten ergaben sich für die Muslim-Liga aus dem bis zur Staatsgründung in ihren Reihen fehlenden Konsens über Form und Inhalt des zu errichtenden Staatswesens.[6] Ungelöst blieben u. a. auch die Probleme der Nivellierung regionaler Differenzen innerhalb der Partei sowie der Amtssprache/n für den jungen Staat, über die große Unklarheiten in der ML bestanden.[7] Innerhalb der Partei waren die Widersprüche zwischen säkularen und religiösen Kräften sowie den aus den muslimischen Minderheitenregionen Indiens stammenden Parteiführern und den leitenden Funktionären der ML in den muslimischen Mehrheitsregionen auffällig, vor allem in der Auseinandersetzung über die zunehmende Zentralisierung der Macht durch die bzw. in der Parteispitze. Als sehr problematisch für die ML erwies sich darüber hinaus der Umstand, daß ihre Organisationsstrukturen hinter ihrem wachsenden politischen Einfluß und ihrer zunehmenden Popularität zurückgeblieben waren.[8] Hatte Jinnah einen säkularen Staat westlicher Prägung, d.h. eine parlamentarische Demokratie vor Augen, dessen Legitimationsgrundlage die einigende Kraft des Islam sein sollte [9], bevorzugte eine beträchtliche Anzahl Parteifunktionäre und islamischer Würdenträger bzw. Gelehrter (Ulema) einen auf ausschließlich islamischen Prinzipien beruhenden Staat. Darüber hinaus gab es Bemühungen einer Minderheit, einen sozialistisch orientierten Staat zu schaffen. Nachdem sich die Kräfte um Jinnah und Liaqat Ali Khan durchgesetzt hatten, wurde zunächst ein Parlamentssystem britischer Prägung installiert, d.h. die von der Kolonialmacht hinterlassenen politisch-administrativen Strukturen wurden weitgehend unverändert übernommen.[10] Es wurde der Versuch unternommen, aus der pakistanischen Gesellschaft eine einheitliche Nation mit dem Islam als Legitimationsgrundlage zu modellieren. Die oben bereits erwähnten konzeptionellen und strukturellen Probleme innerhalb der Muslim-Liga flossen respektive in das politische System Pakistans ein und wurden zum Ausgangspunkt weiterer Konflikte, nunmehr auf nationaler Ebene (wobei insbesondere der Konflikt zwischen Punjabis und Bengalis, also dem Westteil und dem Ostteil des Landes manifest und zum beherrschenden innenpolitischen Konflikt wurde) sowie in den bzw. zwischen den Provinzen (als Auseinandersetzung von Sindhis und Nicht-Sindhis [mit den Muhajir, den zunehmend nach Sind immigrierenden Paschtunen und Baluchen], Punjabis und Paschtunen, Punjabis und Baluchen).[11] Bemerkenswert ist, daß es in Westpakistan kaum zum offenen Auftreten ethno-nationalistischer bzw. ethno-regionalistischer Bewegungen gegen die Zentralregierung kam, solange das parlamentarische System funktionierte und eine Anteilnahme der Provinzen, d.h. von Vertretern der diversen ethnischen Gruppen, an der Ausübung an der Macht gewährleistet werden konnte.[12] Die Verwirklichung des angestrebten Einheitsstaates Pakistan (Entwicklung eines pakistanischen Nationalbewußtseins, eines nationalen politischen und administrativen Systems, die Schaffung der Grundlagen einer nationalen Ökonomie sowie der Aufbau nationaler Streitkräfte) setzte in der Auffassung der herrschenden Elite (die zu einem große Teil eben aus den muslimischen Minderheitsregionen Indiens stammte) in wachsendem Maße die Konzentration der politischen Vollmachten bei der Zentralregierung, d.h. ihrem britisch geprägten und geschulten administrativen/bürokratischen Apparat, voraus. Dies führte dazu, daß föderale Prinzipien nach und nach zurückgestellt wurden. Die Folgen waren schwerwiegend. "The Muslim League leaders, faced both with the internal problems and the external threats, chose to rely on the civil service and the military. The thrust of the state elite’s policies, in the initial years, was to strengthen the state structure as soon as possible, primarily focussing on the army and bureaucracy. The underlying assumption was that once a structure was built speedily, nation-building would take care of itself."[13] Der militärische und der administrativ-bürokratische Komplex, dominiert von Punjabis und Muhajirs, kristallisierten sich zunehmend als die einzigen stabilen Institutionen des politischen Systems heraus und wurden schließlich zu dessen Brennpunkt - eine Entwicklung, die nicht zuletzt durch den frühen Tod Jinnahs, die Ermordung Liaqat Ali Khans, das Auf-der-Stelle-Treten der Verfassunggebenden Versammlung, das Ausbleiben allgemeiner demokratischer Wahlen und die voranschreitende Paralysierung der ML durch das Unvermögen, auf die regionalen Spezifika in den Provinzen angemessen zu reagieren, begünstigt wurde. Der Verlust der politischen Legitimität der Muslim-Liga infolge ihrer zunehmend repressiven Innenpolitik (wie z.B. der umfassenden Benachteiligung Ostpakistans) und die Übernahme der Macht durch den ehemaligen Verteidigungsminister Iskandar Mirza unter Beihilfe des Militärs 1955 sowie schließlich die Machtübernahme durch das Militär selbst 1958 (durch den Oberkommandierenden der Streitkräfte Ayub Khan) waren die Konsequenzen einer stagnierenden innenpolitischen Entwicklung, die bereits im April 1954 zur Wahlniederlage der Muslim-Liga in Ost-Bengalen sowie im Oktober 1954 zur Auflösung der Verfassunggebenden Versammlung und zu der Verhängung des Ausnahmezustandes geführt hatte. Auch die Auseinandersetzungen um die One-Unit in Westpakistan, die von vielen als Versuch vor allem der Punjabis, ihre Dominanz daselbst zu festigen, perzipiert wurde, sind deutliche Indikatoren für die Krise der Staatsgründungsidee und der Muslim-Liga. Die am 23. März 1956 verabschiedete Verfassung erklärte Pakistan zur Islamischen Republik, deren erster Präsident Iskandar Mirza mit umfangreichen Vollmachten ausgestattet war. Inhaltlich institutionalisierte sie nicht zuletzt die "political discrimination of the Bengalis, by denying them the weight they should have had as a majority of the population."[14] Die Machtergreifung der Militärs 1958 ist nach T. ALI schließlich die Folge des Unvermögens des bürokratischen Apparates, eine arbeits- und lebensfähige Partei der herrschenden Klasse hervorzubringen.[15] Die Innenpolitik der Militärregierung unter Ayub [16], ab 1962 auf Grundlage einer auf ihn zugeschnittenen Präsidialverfassung sowie des indirekten Wahlsystems ("basic democracy"), verfolgte ein strikte Modernisierung westlicher Prägung. Entsprechend den daraus abgeleiteten administrativen "Bedürfnissen" favorisierte Ayub eine streng zentralisierte Regierung, wobei er dafür sorgte, daß entscheidende Positionen im Civil Service of Pakistan durch Armeeoffiziere besetzt werden konnten. In der Auffassung, daß der Staat Pakistan von einer säkularen liberalen Mittelschicht gewonnen wurde [17], instrumentalisierte er den Faktor Islam unter strenger Kontrolle seiner Regierung (Einrichtung eines Advisory Council of Islamic Ideology, 1961) unter weitgehendem Ausschluß der konservativen Ulema, denen er vorwarf, unzureichend auf die Erfordernisse der Moderne vorbereitet zu sein.[18] Obwohl als Paschtune selbst Angehöriger einer ethnischen Minderheit, ging Ayub Khan konsequent gegen jede Äußerung von Regionalismus und Faktionalismus vor, negierte die Berechtigung von provinzieller Autonomie mit dem Argument, "that the Muslim rule in the sub-continent started to decline mainly because of the weakening of the central authority."[19] Seiner forcierten Entwicklungspolitik im wirtschaftlichen Bereich folgten jedoch keine praktische Maßnahmen zur Lösung der weiterhin im Land virulenten sozialen und ethnischen Probleme sowie des grundsätzlichen Gegensatzes zwischen dem Westteil und dem Ostteil des Landes. Diese waren in großem Maße Folge der Unausgewogenheit eben jener forcierten kapitalistischen Entwicklung, der Mißachtung regionaler Interessen und Bedürfnisse und der mangelnden Teilhabe der untersten sozialen Schichten an den in Angriff genommenen Reformen, wie etwa der Landreform. Das umfassende Defizit an politischer und wirtschaftlicher Partizipation führte zu einer breiten demokratischen Volksbewegung, in deren Ergebnis die Macht von Ayub Khan an die Armeeführung übergeben wurde. Die neue Regierung unter Yahya Khan sah sich unter dem allgemeinen Druck gezwungen, im Dezember 1970 erstmals in der pakistanischen Geschichte direkte allgemeine Wahlen auszuschreiben, die von der Awami League unter Führung von Mujibur Rahman in Ostpakistan überlegen gewonnen wurden. In Westpakistan hieß der Wahlsieger Zulfikar Ali Bhutto, ehemaliger Außenminister Ayub Khans, der die 1967 gegründete Pakistan People’s Party anführte. Die Nichtanerkennung dieses Ergebnisses demokratischer Willensbekundung (Bhutto hatte sich geweigert, die Awami Liga als Mehrheitspartei anzuerkennen, wenn diese ihre Autonomieansprüche nicht einschränke) bedeutete das Ende des Staates Pakistan in seiner ursprünglichen Form und den bisherigen Kulminationspunkt der Krise der Idee von einer pakistanischen Nation, die bis heute nicht überwunden ist. Am 26. März 1971 wurde die unabhängige Volksrepublik Bangladesh ausgerufen. Am 17. Dezember 1971 kapitulierten die Armee-Einheiten der Zentralregierung vor der Übermacht der ost-bengalischen Befreiungsbewegung Mukti Bahini und indischer Streitkräfte. Yahya Khan wurde als Staatschef Rest-Pakistans gestürzt. Zulfikar Ali Bhutto, der mit der Propagierung [s]eines "islamischen Sozialismus" weite Teile der unteren sozialen Schichten für seine Politik zu mobilisieren vermochte, wurde am 20. Dezember 1971 Präsident und Regierungschef des nunmehr auf Sindh, Baluchistan, den Punjab und die NWFP geschrumpften Pakistan. Vor ihm stand die schwierige Aufgabe, einem weiteren Zerfall des Landes entgegenzuwirken, seine Legitimation als Regierungschef unter Beweis zu stellen, die angeschlagenen politischen Institutionen des Staates neu zu formieren, seine Wirtschaft wiederherzustellen und seine Außenbeziehungen entsprechend den neuen Gegebenheiten zu ordnen.[20] Die vorgefundenen Strukturen der pakistanischen Streitkräfte und ihre Funktion beließ er weitgehend unangetastet.[21] Das Ergebnis der Wahlen von 1970 [22] beeinflußte Bhuttos Politik dahingehend, daß er zunächst eine mehr föderalistische Politik verfolgte, um seine Regierung auch in den Minderheitsprovinzen Baluchistan und NWFP zu legitimieren. War es ihm zunächst gelungen, die Zustimmung der National Awami Party zu seinem Verfassungsentwurf zu erlangen (April 1973) und einen großen Teil der sindhischen und punjabischen Grundbesitzer für sich einzunehmen, wurde zunehmend jedoch deutlich, daß "im Mittelpunkt seiner Regionalismuspolitik nicht das Gewähren autonomer Freiheiten für die einzelnen Provinzen stand, sondern eine effektive Zentralisierung des Staates im Sinne eigener Machtentfaltung."[23] Trotz einiger Reformversuche im Agrar-, Finanz- und Versicherungs- und Großindustriesektor (Verstaatlichung einiger Großunternehmen im produzierenden Bereich, der Banken und Versicherungsgesellschaften) gelang es Bhutto nicht, die weiterhin andauernden sozialen Spannungen abzubauen, denen er in wachsendem Maße autoritär und repressiv begegnete. Seine Landreformansätze veränderten die Struktur des landwirtschaftlichen Sektors grundsätzlich nicht, die Förderung des staatlichen Sektors führte nicht zum erhofften Investitions-, Arbeitsplatz- und Produktionszuwachs. Dennoch gelang ihm mit der PPP bei den Parlamentswahlen im März 1977 erneut ein Sieg. Einmal mehr führte jedoch die Nichtanerkennung eines Wahlergebnisses, diesmal durch die oppositionelle Pakistan National Alliance unter dem Vorwurf von massiver Wahlfälschung, zu einer politischen Krise, infolge derer erneut das Militär unter dem Chief of Staff Zia-ul Haq am 05. Juli 1977 die Macht übernahm und das Kriegsrecht verhängte. Zia’s politisches Ziel war es, den bislang unklaren Begriff einer pakistanischen Identität durch eine umfassende Islamisierung aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche Pakistans mit Leben zu füllen und ihm eine nachhaltig islamische Prägung zu geben. Zia-ul Haq begründete die Legitimität seiner Regierung damit, "that it was the duty of Pakistanis as Muslims to obey his government because it was pursuing Islamic principles." [24] Sich auf den Koran und Überlieferungen des Propheten Muhammad berufend, ging er davon aus, "that as long as the head of state followed the injunctions of Allah and his prophet, obedience became mandatory for his subjects."[25] Gestützt auf das Militär bemühte sich Zia, eine, wie er sie verstand, unitäre "islamische Demokratie" unter Ausschluß politischer Parteien zu modellieren, die eine pakistanische (=islamische) Identität (basierend auf dem panislamischen Einheitskonzept der Ummah) hervorbringen und letztendlich die ideologische Legitimität seines Militärregimes begründen sollte [26], obwohl ihn seine Islamisierungspolitik wiederholt in Konflikt mit der schiitischen Bevölkerungsminderheit brachte.[27] Sein praktisches tagespolitisches und strategisches Handeln, wie etwa die nachdrückliche Bevorzugung des Urdu vor den regionalen Sprachen, verdeutlicht, daß sein Konzept kaum Platz für einen multinationalen, wahrhaft föderalen Staatsaufbau mit regionaler bzw. lokaler Autonomie ließ.[28] Oben dargestellter Überblick über die wichtigsten Entwicklungslinien der Staatsidee und des Staates Pakistan selbst erlauben m. E. folgendes kurzes Resümee: Das zunächst in Kraft gesetzte föderale parlamentarische System litt darunter, daß es nicht gelang, einen gesellschaftsübergreifenden Konsens über dieses Staatswesen Pakistan zu erzielen.[29] Gleichzeitig begriff die staatliche Elite die ethnische, regionale und soziale Fragmentation der pakistanischen Gesellschaft als Herausforderung der Staatsmacht, der sie (häufig genug repressiv) durch verstärkte Zentralisierung der politischen Entscheidungsfindung zu begegnen suchte, was wiederum ihre Legitimität in den Augen der Betroffenen nachhaltig in Frage stellte. Eine nicht unwesentliche Rolle für die Bevorzugung der Zentralinstanzen dürfte sicher die perzipierte Bedrohung Pakistans durch den Nachbarn Indien gespielt haben. Das Bemühen, regionale Identitäten in eine einheitliche pakistanisch-nationale Identität umzuformen bzw. umzuleiten, wurde nicht von demokratischer Willensbekundung mitgetragen, sondern von oft autoritären Maßnahmen, wie etwa der Festlegung des Urdu als einziger nationaler Amtssprache (neben der "Zwischenlösung" Englisch). Von einer, wie auch immer formulierten, von allen ethnischen und sozialen Gruppen getragenen und gelebten "pakistanischen Identität" kann nach wie vor keine Rede sein. Die islamische Religion hat nicht die Rolle eines Katalysators solch einer nationalen Identität erfüllen können. Es ist insgesamt auch nicht gelungen, ein politisches System zu entwickeln, welches auch nur annähernd in der Lage ist, unterschiedliche politische Interessen angemessen zu befriedigen und politische Konflikte gewaltlos zu schlichten bzw. zu lösen.
II. "Looking at the broad picture, ..., there is more than enough evidence in the historical record to account for the depth and power of Pashtun nationalism. Long before the British arrived on the scene, the Pashtuns were fighting to preserve their identity against the onslaughts of advancing Moghul emperors who ruled precariously over the areas west from the Indus from their capital in Delhi. The ideologists of Pakistani nationalism exalt the memory of Akbar and Aurangzeb as the symbols of a lost Islamic grandeur in South Asia. For the Pashtuns, however, the Moghuls are remembered primarily as the symbols of past oppression."[30] Der paschtunische Regionalismus bzw. die prononcierte Ablehnung (zentral-)staatlicher Autorität und das Beharren auf tribaler Autonomie seitens der Paschtunen sind keine historisch neuen Erscheinungen. Mit ihnen sahen sich nicht nur die indischen Moghul-Herrscher konfrontiert, sondern praktisch sämtliche Herrschaften/Dynastien, die versuchten, die paschtunischen Stämme in ihren politischen Herrschafts- bzw. Einflußbereich einzubeziehen. Dies betrifft jeweils in verschiedenem Maße bis in die jüngste Vergangenheit alle afghanischen Herrscher (seien es die Durrani-Dynastien, die Republik Dauds oder die DVPA-Regierung) aber auch die britische Kolonialmacht in Indien und den Staat Pakistan. Kriterium für das Verhältnis der Paschtunen zu der entsprechenden Instanz war bzw. ist dabei, in welchem Umfange es den jeweiligen Machthabern gelang (gelingt) bzw. nicht gelang (gelingt), sofern überhaupt beabsichtigt, den Interessen der paschtunischen Stämme, d.h. der Stammeseliten, Rechnung zu tragen. In der seit 1901 als administrative Einheit bestehenden Nord-West Frontier Province [31] existierte seit 1929 die von Khan Abdul Ghaffar Khan [32] gegründete Organisation Khudai Khidmatgar ("Diener Gottes", von den Briten wegen ihrer Uniformen "Red Shirts" genannt).[33] Die Bewegung erwuchs aus dem Widerstand gegen die ursprüngliche Ablehnung der Briten, der strategisch wichtigen NWFP politische Reformen ähnlich wie in anderen Teilen der Kronkolonie Indien zuzugestehen [34] sowie gegen die konsequente Vernachlässigung der wirtschaftlichen Entwicklung der Region seitens der Kolonialmacht und liierte sich seit 1930 (Bewegung des Zivilen Ungehorsams) zunehmend mit dem Indian National Congress. Die Khudai Khidmatgar waren eine paschtunisch-nationalistische Organisationen, die sich beinahe ausschließlich auf die paschtunisch besiedelten ruralen Gebiete der zentralen Distrikte der NWFP stützte.[35] Ihre Führung lag in den Händen mittlerer Grundbesitzer, und sie verfügte über eine eigene Zeitung. In dieser Periode wurde ein unabhängiger/autonomer Staat Paschtunistan in ihren Zielerklärungen nicht erwähnt, vielmehr spricht sich die Bewegung für eine Provinzautonomie in einem all-indischen Kontext aus. [36] Nach Bekanntwerden der Teilungspläne für den indischen Subkontinent, trat ein Großteil der paschtunischen Stammeselite [37], die Massenorganisation Khudai Khidmatgar hierfür mobilisierend, in der Nordwest-Grenzprovinz für ein Selbstbestimmungsrecht auf nationaler anstelle religiöser Grundlage ein und forderte ein Referendum, das über die Zukunft der NWFP entscheiden sollte. Außer der Frage nach Anschluß an Indien oder Pakistan wurde ausdrücklich die Optionsmöglichkeit für ein unabhängiges Paschtunistan eingefordert. Hintergrund hierfür war u. a. die Befürchtung Abdul Ghaffar Khans, daß ein Staat Pakistan eine Dominanz von Nicht-Paschtunen gegenüber Paschtunen bedeuten würde.[38] Die britisch-indische Kolonialadministration lehnte diese Forderung strikt ab, ebenso die Vertreter Muslim-Liga.[39] Ließ sich erstgenannte hierbei nicht zuletzt von geo-strategischen Interessen leiten (ein stabiles, starkes Pakistan als regionales Gegengewicht zu Indien und der UdSSR), gingen letztere offensichtlich davon aus, die paschtunischen Stämme mit dem Argument des Islam in ihren zukünftigen Staat integrieren zu können.[40] Der Widerspruch der jeweiligen Interessenlagen, d.h. die Ablehnung der Teilungspläne für Indien unter religiösen Gesichtspunkten durch die Organisation Ghaffar Khans einerseits und die Ablehnung der Briten, ein Referendum über ein unabhängiges Paschtunistan zuzulassen, fand seinen Ausdruck am 21. Juni 1947 in der Bannu-Resolution, verabschiedet von einer Zusammenkunft von paschtunischen INC-Mitgliedern, Funktionären der Khudai Khidmatgar, Mitgliedern der NWFP-Provinzversammlung und Vertretern einzelner paschtunischer Stämme, die die Forderung nach einem "freien Staat der Paschtunen ..., dessen Verfassung auf islamischen und republikanischen Prinzipien sowie auf Gleichheit und nationaler Gerechtigkeit beruhen soll" [41], postulierte. Das Referendum, zu dem schließlich die Wähler der Nordwest-Grenzprovinz zwischen dem 06. und dem 16. Juli 1947 aufgerufen waren, forderte zur Entscheidung für einen Anschluß an Indien oder Pakistan auf. Die Forderung nach einer paschtunischen Eigenstaatlichkeit wurde von den Briten abgelehnt, die Frage nach einem unabhängigen oder auch nur autonomen Paschtunistan stand dementsprechend bei diesem Referendums nicht zur Debatte. Die Khudai Khidmatgar riefen daraufhin zum Boykott des ihrer Auffassung nach undemokratischen Referendums auf. Da sie in Allianz mit dem Indian National Congress bereits 1937 und 1946 die Wahlen zur Provinzversammlung hatten gewinnen können, nahmen sie offensichtlich an, das Referendum hierdurch überflüssig zu machen. Im Nachhinein wird deutlich, daß der Boykott im Sinne der eigentlichen Ziele der Khudai Khidmatgar nur als Fehlentscheidung bewertet werden kann, wenn auch der Anschluß der NWFP an Pakistan schließlich nur von einem Minderheitenvotum getragen wurde. Tatsächlich nahmen nur etwa 51 % aller Stimmberechtigten daran Teil, von ihnen stimmten jedoch beinahe 99 % für Pakistan [42], woraufhin die NWFP daselbst eingegliedert wurde. Die aus den Wahlen von 1946 hervorgegangene NWFP-Provinzregierung wurde von der (neuen) pakistanischen Regierung aufgelöst; der NWFP-Chief Minister Dr. Khan Sahib, Mitglieder seines Provinzkabinetts und eine große Anzahl von Aktivisten der Khudai Khidmatgar wurden in Haft genommen. In den ersten Jahren nach der Entstehung des unabhängigen Pakistan, entwickelte die Bewegung der Khudai Khidmatgar ihre Vorstellung von einem unabhängigen Paschtunistan weiter, hin zu einem Konzept, das eine provinzielle Autonomie der NWFP, die man nunmehr mit Paschtunistan (als Territorium) synonym dachte, innerhalb des pakistanischen Staates. Die Interaktion zwischen staatlicher Elite und der paschtunischen (ethnischen/nationalen) Elite reproduzierte immer wieder die gegenseitigen Feindbilder, Animositäten und Bedrohungsperzeptionen. 1948 wurde schließlich die Organisation der Khudai Khidmatgar in die Illegalität verbannt, woraufhin Abdul Ghaffar Khan, der selbst mehrfach verhaftet wurde noch im selben Jahr die People’s Party (mit) ins Leben rief. Ihr Programm beinhaltete als Schwerpunkte die "stabilization and security of Pakistan as a union of Socialist republics, drawing its sanction and authority from the people through their willing consent; provision of full and unimpared autonomy for all and establishment of cultural relations with all neighbouring states, particularly with the Indian nation."[43] Abdul Ghaffar Khan war sich m.E. sicher (entgegen aller Behauptungen) durchaus bewußt, mit dem Beharren auf Autonomie, die Existenz Pakistans als Staat aufs Spiel zu setzen. Die ausdrückliche Bezugnahme auf die sozialistische Ideologie und den Faktor Indien ist m.E. ein Indikator dafür, daß er sich zur Durchsetzung seiner Autonomieziele Unterstützung seitens Indiens (seiner ehemaligen Congress-Mitstreiter) und, vielleicht in Anspielung auf deren Interessen im mittel- und zentralasiatischen Raum, auch der UdSSR erhoffte. Darüber hinaus wurde betont, daß die Paschtunen eine eigene Nation darstellten und deren genealogischen Beziehungen sie ihren Blick eher auf Afghanistan richten lassen sollte [44], das als ein weiteres Druckmittel auf die pakistanische Zentrale instrumentalisiert werden konnte. 1957 vereinigten sich die Provinz- bzw. Regionalparteien Sindhs, Baluchistans, Ostbengalens und der NWFP nicht zuletzt unter dem Eindruck der One-Unit, deren Wiederauflösung zentraler Programmpunkt wurde, zur National Awami Party (NAP). Trotz eines gesamtpakistanischen Forderungskatalogs (Anerkennung ethnischer, kultureller, sprachlicher, geographischer Unterschiede durch das politische System, Ausstieg aus CENTO und SEATO) behielten die einzelnen parteitragenden Komponenten in den Provinzen ihren ausgesprochen regionalen Charakter, wobei die NAP in der NWFP die Organisationsstrukturen der Khudai Khidmatgar übernahm und die politische Führung in den Händen Abdul Ghaffar Khans Familie (in Gestalt seines Sohnes Abdul Wali Khan) verblieb.[45] Unter dem Begriff Paschtunistan wurde immer mehr eine weitgehende Autonomie der Nordwest-Grenzprovinz innerhalb eines föderalen Staates Pakistan verstanden. Trotzdem die paschtunische Autonomiebewegung ihre soziale Basis in den ländlichen paschtunischen Siedlungsgebieten weitgehend aufrechterhalten konnte, gelang es nur in begrenztem Umfang, unter den jungen, gebildeten urbanen paschtunischen Mittelschichten Einfluß zu erzielen. Der Hauptgrund dafür, daß eine Erweiterung der sozialen Basis hier nicht gelang, liegt darin, daß sich sowohl der militärische als auch der bürokratische Zentralapparat Nachwuchs ausgerechnet von dort heranzogen, wo die Autonomiebewegung ursprünglich Einfluß und Vertrauen genoß und ihr auf diese Weise zumindest teilweise sozialen Nährboden entzog. Eine wachsende Anzahl von Paschtunen stieg bis in höchste Positionen in Militär und Verwaltung auf (in Gestalt von Ayub Khan sogar zum Staatschef) und begann dort im Zusammenwirken mit den nach wie vor überrepräsentierten Punjabis und Sindhis eine politisch hochwichtige Rolle zu spielen. Dies führte u. a. dazu, daß der ständige Rückgriff auf das Argument einer angeblichen bzw. tatsächlichen Dominanz von Nicht-Paschtunen über Paschtunen an Glaubwürdigkeit verlor und Ämter in Bürokratie und Militär für einen nicht unerheblichen Teil der jungen gebildeten paschtunischen Mittelschicht zunehmend attraktiv wurden. Die landesweite Anti-Ayub-Bewegung Ende der 1960er Jahre wurde zu einem großen Teil von ethno-nationalistischen bzw. ethno-regionalistischen Bewegungen getragen. Der Grund dafür liegt in der Wahrnehmung der extrem unausgewogenen wirtschaftlichen Entwicklung Pakistans als eine Politik zugunsten der Punjabis und zu Lasten der Provinzen. In der NWFP führt die unzureichende agrarische und industrielle Entwicklungspolitik Ayubs und die Benachteiligung/Vernachlässigung des Paschto im Bildungswesen zu einem Aufbegehren gegen die Zentrale und zur Wiederbelebung regionalistischer Forderungen (im Sinne des Einklagens von auf die Spezifik Bedürfnisse der NWFP als Region eingehender entwicklungspolitischer [wirtschaftlicher und sozialer] Maßnahmen). Da sich die Paschtunen aber "sich im Gegensatz zu Belutschen nicht vollständig vom dominierenden Punjabi-Muhajir-Establishment entfremdet fühlten" [46] - schließlich nahmen sie ja in einem gewissen Umfang an diesem selbst Teil und fand es bei ihnen in bestimmten Maße eine wachsende Akzeptanz - blieben ihre Ansprüche vergleichsweise moderater als die der im politischen System Pakistans völlig unterrepräsentierten Baluchen. Die ständige Kritik politischer und wirtschaftlicher Dominierung der NWFP durch Nicht-Paschtunen hielt die NAP Anfang der 1970er Jahre dementsprechend nicht davon ab, bis zu einem bestimmten Grad den Weg frei zu machen für punjabische u. a. Investitionen in der Provinz und Urdu zur offiziellen Sprache auch der NWFP zu erklären. Im Kontext zu Bhuttos zunächst auf Ausgleich und Legitimationsbegründung seiner Herrschaft bedachten föderalen Politik wird deutlich, daß die Autonomiebewegung in der NWFP zu diesem Zeitpunkt weniger von ethnisch-nationalistischen, als vielmehr wirklich regionalen Interessen bzw. Bedürfnissen geprägt ist. Ein Indiz hierfür ist u. a. die Tatsache, daß die 1973 von Muhammad Daud nach dem Sturz der Monarchie in Afghanistan wiederaufgenommene Paschtunistan-Propaganda (im Sinne eines Paschtunistans unter afghanischer Hegemonie) in der Nordwest-Grenzprovinz kaum auf fruchtbaren Boden fiel und Daud - nicht zuletzt in Folge davon - statt dessen einen Ausgleich mit Bhutto zu suchen gezwungen war.[47] Die radikale Abwendung Bhuttos von seiner relativ moderaten Politik gegenüber der NWFP, vor allem aber gegenüber Baluchistan, folgte außen-, wirtschafts- und militärpolitischen Erwägungen [48] und erschütterte Bhuttos Legitimation nachhaltig. Wali Khan bevorzugte als Repräsentant paschtunischer ruraler und urbaner Mittelschichten eine Entwicklungspolitik in der NWFP, die einen von Paschtunen dominierten privaten Sektor zum Motor haben sollte, der die Dominanz der Punjabis verringern sollte. Er vertrat die Auffassung, daß dieses punjabische Übergewicht direkte Folge der vom Zentrum kontrollierten Entwicklungspolitik sei.[49] Es ist evident, daß es also weniger um einen "reinen" politischen Interessenkonflikt zwischen einer Provinz und der zentralstaatlichen Instanz geht, sondern es sich nicht zuletzt um einen Konflikt von miteinander konkurrierenden Angehörigen ein und derselben wirtschaftlichen Schicht [50] - freilich unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit - handelt. In der Auseinandersetzung werden aber eben diese ethnischen Unterschiede als politisches Instrument benutzt und wirtschaftliche und soziale Interessen "ethnisch" formuliert und begründet. Es handelt sich entsprechend bei der paschtunischen Autonomiebewegung (sofern dieser Terminus hierfür überhaupt angebracht ist) zu dieser Zeit nicht um eine politisch-nationalistische (Unabhängigkeits-)Bewegung, sondern um eine dezidiert die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der regionalen Elite (der Paschtunen) innerhalb des bestehenden politischen Rahmens vertretende Bewegung. Nach dem Putsch Zia-ul Haqs 1977 und dem Verbot politischer Parteien war die Situation in der Nordwest-Grenzprovinz vergleichsweise ruhig. Die sonst üblichen Dissonanzen zwischen den Zentralinstanzen und der Provinz wurden durch das Kriegsrecht und die autoritäre Islamisierungspolitik Zia’s "aufgefangen". Auch wurden nach der Saur-Revolution 1978 in Afghanistan einmal mehr die militär-strategische Bedeutung der Nordwest-Grenzprovinz und entsprechende Interessen der Zentralregieung augenfällig. Der seit der militärischen Invasion der Sowjetunion in Afghanistan (seit Dezember 1979) extrem angewachsene Zustrom von Flüchtlingen nach Pakistan (zum großen Teil in die NWFP) war nicht nur Auslöser einer verwandtschaftlich determinierten Solidarität zwischen den Paschtunen beiderseits der Durand-Linie sondern auch einer islamisch formulierten Solidarität, die sich stark auf die politische Situation in der NWFP auswirkte. Dies äußerte sich in den Schwierigkeiten, welche sich für große Teile der pakistanischen Paschtunen in den Fragen nach ihrer politischen Vorgehensweise bezüglich der Zentralregierung sowie vor allem nach ihrer Haltung (sprich: Abgrenzung) gegenüber den als Bedrohung wahrgenommenen Geschehnissen im Nachbarland seit dem April 1978 (und erst recht nach dem Einmarsch der sowjetischen Streitkräfte) eröffneten: "By campaigning against the military regime, they thought they might play into the hands of their external enemies."[51] Die Regierung Zia nutzte diese Situation, um den inneren Druck auf das eigene politische System entsprechend abzuleiten [52], zumal es trotz aller Beistandsbemühungen im Laufe der Zeit zu wiederholten, teilweise heftigen Spannungen zwischen den afghanischen Flüchtlingen und der einheimischen Bevölkerung gekommen ist.[53] Die umfassende Unterstützung der pakistanischen Führung für den afghanischen Widerstand war aber auch Produkt der Erkenntnis, daß davon nicht nur das Überleben der afghanischen Widerstandsbewegung sondern nicht zuletzt die Integrität Pakistans selbst in großem Maße abhängt.[54] Während des Anhaltens des Krieges in Afghanistan wurde deutlich, daß die Sorge, daß die afghanischen (paschtunischen) Flüchtlinge der Autonomiebewegung in der NWFP Zulauf und Auftrieb verschaffen könnten, von der Sorge um deren (Nicht-)Rückkehr in ihre Heimat und den damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Problemen verdrängt bzw. zumindest überlagert wurde. Das Andauern des Krieges in Afghanistan verschlechtert die Möglichkeiten für eine Flüchtlingsrepatriierung [55] und schafft neues Konfliktpotential im Inneren Pakistans, dessen Folgen für den Fall eines Umschlagens in einen offenen Konflikt für Menschen und politisches System verheerend sein werden. Unter dieser Prämisse war und ist die Beibehaltung des status quo zwischen Provinz und Zentrale, wie er sich unter den genannten Bedingungen herauskristallisierte, d.h. die Beibehaltung eines Minimums an Föderalismus, mittelfristig unabdingbar für den Fortbestand Pakistans als politische, d.h. staatliche Einheit.
[1] ESPOSITO, J. L., Islam : ideology and politics in Pakistan. In: Banuazizi, A.; Weiner, M. (eds.), The state, religion, and ethnic politics : Pakistan, Iran, and Afghanistan. Lahore [u. a.] 1987, S. 335 [2] Daß die Zwei-Nationen-Theorie auch unter Muslimen nicht unumstritten war, bekräftigt u. a. AMIN, T.: "G. M. Syed, an influential Sindhi politician, believed that the Muslim League was composed of a clique of big landlords who, in the name of religion wanted to impose their own dominance over Sind. He thought that under the cloak of the ‘two-nation theory’ the Punjab would dominate Sind, with disastrous consequences for the Sindhis." AMIN, T., Ethno-national movements of Pakistan : domestic and international factors, with epilogue on 1988 elections. Islamabad o. J. [ca. 1989]. S. 75. - Vgl. auch BHUTANI, D. H., The future of Pakistan. New Delhi 1984, S. 110 ff. [3] Vgl. hierzu z.B. die z.T. recht leidenschaftliche Argumentation von ABBASI und seine Herleitung der Existenzberechtigung eines Staates Pakistan auf Grund der historischen Entwicklung des indischen Subkontinents: ABBASI, M. Y., The evolution of Muslim nationalism and the Pakistan Resolution. In: Yusuf, K. F.; Akhtar, M. S.; Wasti, S. R. (eds.), Pakistan Resolution revisited. In: Historical Studies (Pakistan) Series; 8. Islamabad 1990, S. 1 - 27. "The Hindu and Muslim communities were based on irreconcilable religious beliefs which fostered a sentiment of exclusiveness and separate existence even in villages and towns where they lived in their own well-marked localities. ..., in dialectic terms, if Hindu or Muslim entity may be taken as the thesis, the other acted on it as the antithesis ..." ABBASI, M.Y., a.a.O., S. 3. [4] Die Motivationen hierfür waren aber nicht allein religiöser Natur: "This Muslim separatism had been reinforced by Hindu communalism generated by the activities of certain upper castes who tended to dominate the economic life of urban and rural areas." SAYEED, KH. B., The historical origins of some of Pakistan’s persistent political problems. In: Wilson, A. J.; Dalton, D. (eds.), The states of South Asia : problems of national integration, essays in honour of W. H. Morris-Jones. London [u. a.], Second impression 1989, S. 29. [5] ALI, T., Can Pakistan survive? : the death of a state. Harmondsworth [u. a.] 1983, S. 41 [6] AMIN, T., a.a.O., S. 67. - Das Problem ist wohl nach wie vor ungelöst: "Historical evidence suggests that the rallying cry of Islam was a vital factor which contributed to the creation of Pakistan; yet, more than thirty years of the establishment of the state, Pakistanis have not yet reached a clear and democratic consensus as to the kind of Islamic political system that they should set up." SAYEED, KH. B., a.a.O., S. 27. [7] AMIN, T., a.a.O., S. 67 - "Neither Jinnah (as Governor-General) nor Liaqat Ali Khan (as his prime minister) spoke any of the languages of the country’s provinces. Liaqat spoke Urdu, but Jinnah’s first language was English." ALI, T., a.a.O., S. 41. [8] AMIN, T., a.a.O., S. 68. [9] Nicht zu übersehen ist in den Äußerungen Jinnahs dabei eine gewisse Ambivalenz zwischen islamischen und säkularistischen Prinzipien. So erklärte er hinsichtlich der Beratung der wirtschaftlichen Grundlagen eines zukünftigen Muslim-Staates: "Our ideal should not be capitalistic, but Islamic and the interests of the welfare of the people as a whole should be kept constantly in mind." TALBOT, I., Planning for Pakistan : the Planning Committee of the All-India Muslim League 1943 - 46. In: Modern Asian Studies, Cambridge [u. a.], 28(1994)4, S. 881. [10] SAYEED, KH. B., a.a.O., S. 28. [11] AUMÜLLER spricht vom "synthetische[n] Charakter Pakistans als nationalstaatliche Einheit" als Ursache für die Anfälligkeit gegenüber ethnisch-regionalistischen Konflikten. AUMÜLLER, J., Ethnischer Regionalismus und Islam : Das Problem der politischen Legitimität in Pakistan unter Bhutto und Zia-ul Haq. In: Ethnizität und Gesellschaft : Occasional Papers; 8. Berlin 1988, S. 19. [12] AMIN, T., a.a.O., S. 78. [13] Ebenda. [14] ALI, T., a.a.O., S. 49. [15] ALI, T., a.a.O., S. 62. [16] S. hierzu die Memoiren von AYUB KHAN, Erinnerungen und Bekenntnisse. Tübingen [u. a.] 1968, v.a. die Kapitel VIII und XI. [17] AMIN, T., a.a.O., S. 79. [18] ESPOSITO, J. L., a.a.O., S. 337. [19] AMIN, T., a.a.O., S. 80. [20] ALI, T., a.a.O., S. 101. [21] Daran änderte auch die Abberufung von Armee-Chef Gul Hasan, dem Luftwaffen-General Rahim u. a. führenden Militärs nichts. ALI, T., a.a.O., S. 99. [22] Die PPP erreichte in der Wahl zur Provinzversammlung von Punjab 119 Sitze (von 186), 30 (von 62) in Sind, 3 (von 42) in der NWFP und keinen einzigen (von 21) in Baluchistan. Zit. nach AUMÜLLER, J., a.a.O., S. 29. [23] AUMÜLLER, J., a.a.O., S. 40. - Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die Auflösung der Provinzregierungen in Baluchistan und der NWFP durch Bhutto 1973 und den Bürgerkrieg in Baluchistan 1973 bis 1977. [24] SAYEED., KH. B., Pakistan in 1983 : internal stresses more serious than external problems. In: Asian Survey, Berkeley, 24(1984)2, S. 220. - Vgl. auch RIZVI, H.-A., The paradox of military rule in Pakistan. In: Asian Survey, Berkeley, 24(1984)5, S. 538. [25] SAYEED., KH. B., Pakistan in 1983... ., a.a.O., S. 220. [26] AMIN, T. spricht von einer "modifizierten Version" des Ayub-Regimes (a.a.O., S. 168). - "Zias Regime unterscheidet sich von den ersten beiden Militärdiktaturen in Pakistan dadurch, daß Zia bewußt auf eine ideologische Legitimierung rekurriert, um die Massen in Pakistan in sein Regime einzubinden. ... Diese Absicht, ..., ist jedoch gescheitert. Der pakistanische Staat verkörpert unter Zia faktisch die autoritäre Variante eines islamischen Gesellschaftssystems und ist durch eine repressive Politik gekennzeichnet." AUMÜLLER, J., a.a.O., S.91 f. [27] S. AHMED, M. D., Islamisierung in Pakistan. In: Conrad, D.; Zingel, W.-P. (eds.): Pakistan : zweite Heidelberger Südasiengespräche. In: Beiträge zur Südasienforschung; 150. Stuttgart 1992, S. 71 f. [28] AMIN, T., a.a.O., S. 171 f.; AUMÜLLER, J., a.a.O., S. 52. [29] Mitunter stellt sich ohnehin die Frage, ob ein solcher gesellschaftsübergreifender Konsens überhaupt im Sinne der herrschenden staatlichen Elite war bzw. sein konnte. [30] HARRISON, S. S., Ethnicity and the political stalemate in Pakistan. In: Banuazizi, A.; Weiner, M., a.a.O., S. 285 [31] Sie war bis dahin administrativ in den Punjab eingegliedert. [32] Zur Person Abdul Ghaffar Khans s. u. a. TENDULKAR, D. G., Abdul Ghaffar Khan : faith is a battle. Bombay 1967; CHAND, A., India, Pakistan and Afghanistan : a study of freedom struggle and Abdul Ghaffar Khan. New Delhi 1989. [33] S. u. a. JANSSON, E., The Frontier Province : Khudai Khidmatgars and the Muslim League. In: Low, D. A. (ed.), The political inheritance of Pakistan. London [u. a.] 1991; S. 194 - 217. Interessant ist JANSSONS Hinweis auf die Organisation "Afghan Jirga", die Abdul Ghaffar Khan ebenfalls 1929 ins Leben rief, aber von den Khudai Khidmatgar recht bald verdrängt wurde (a.a.O., S. 202 f.). [34] Die Montagu-Chelmsford-Reformen wurden beispielsweise erst seit 1932 auch auf die NWFP ausgedehnt. [35] JANSSON, E., a.a.O., S. 203. [36] AMIN, T., a.a.O., S.69. [37] Eine Anzahl paschtunischer Großgrundbesitzer und Stammesführer arbeitete mit der britischen Kolonialverwaltung zusammen und erhielt von dieser z.T. umfangreiche Subsidien. [38] AMIN, T., a.a.O., S. 74. [39] DJAN-ZIRAKYAR, R. R., Stammesgesellschaft, Nationalstaat und Irredentismus am Beispiel der Paschtunistanfrage. Frankfurt am Main 1978, S. 147. [40] Ebenda und ff. [41] DJAN-ZIRAKYAR, R. R., a.a.O., S. 152. [42] AHMED, M.D., Pakistanisch-afghanische Beziehungen. In: Newman, K. J. (ed.), Pakistan : 35 Jahre nach der Staatsgründung - Staatskonzept und islamisches Selbstverständnis, Sicherheitsprobleme, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. In: Schriftenreihe des Deutsch-Pakistanischen Forum e.V.; 6. Hamburg 1983, S. 221. - "At that time, there was restricted suffrage - only 15 per cent of the total population of the NWFP were voters. Out of total 5,37,000 voters, 2,93,000 had cast their votes. Of the total valid votes polled, 2,89,000 voted in favour of Pakistan. It indicated that only 49 per cent of the total electorated endorsed the proposal for accession of the Province to Pakistan. ... the British accepted it as a democratic decision of the people and tagged the NWFP to Pakistan." CHAKRAVARTY, S. R. The Pashtoon national movement. In: Foreign Affairs Report, New Delhi, 25(1976)1. S. 3. - DJAN-ZIRAKYAR, R. R., a.a.O., S. 155 nennt das Referendum im juristischen und demokratischen Sinne "wertlos". [43] [PYARELAL, N., Thrown to the wolves. Calcutta 1966, S.67]. Zit. nach AMIN, T., a.a.O., S. 89. [44] Es ist bekannt, daß es in Afghanistan zu teilweise äußerst unfreundlichen Reaktionen auf die Gründung des Staates Pakistan gekommen war, die (konsequenterweise) darin ihren Ausdruck fanden, daß Afghanistan in der Vollversammlung der Vereinten Nationen zunächst gegen die Aufnahme Pakistans hierin stimmte. Diese negative Haltung hatte ihren Ursprung nicht zuletzt darin, daß Versuche, das Abkommen über die Durand-Linie zur Zeit des britischen Rückzuges aus Indien zugunsten Afghanistans zu korrigieren (sprich: rückgängig zu machen), sowohl an der unnachgiebigen Haltung der Briten, aber auch des INC und der ML scheiterten. S. u. a. AHMED, M. D., Pakistanisch-afghanische Beziehungen. a.a.O., S. 219. [45] AMIN, T., a.a.O., S. 89. [46] AUMÜLLER, J., a.a.O., S. 47. [47] Hinzufügen könnte man hier u.U. auch den Umstand, daß die Paschtunen nach/während der Sezession Ost-Bengalens die "Gunst der Stunde" nicht genutzt hatten. [48] AUMÜLLER, J., a.a.O., S. 48 f. [49] SAYEED, KH. B., The historical origins ... . a.a.O., S. 37. [50] Ebenda. [51] SAYEED, KH. B., Pakistan in 1983 ... ., a.a.O., S.224. [52] RIZVI, H.-A., a.a.O., S. 552. [53] Vgl. u. a. FARR, G. M.; MERRIAM, J. G., Introduction. In: Farr, G. M.; Merriam, J. G. (eds.), Afghan resistance : the politics of survival. Lahore 1988, S. 8; FARR, G. M., The effect of the Afghan refugees on Pakistan. In: Baxter, C. (ed.), Zia’s Pakistan : politics and stability in a frontline state. Lahore [u .a.] 1985, v.a. S. 99 ff. [54] TEGEY, H.; TEGEY, M. E., Foreword. In: Farr, G. M.; Merriam, J. G. (eds.), a.a.O., S. XII. [55] Vgl. hierzu u. a. FARR, G. M., The effect ... . a.a.O., S. 106 f.
ABBASI, M. Y., The evolution of Muslim nationalism and the Pakistan Resolution. In: Yusuf, K. F.; Akhtar, M. S.; Wasti, S. R. (eds.), Pakistan Resolution revisited. In: Historical Studies (Pakistan) Series; 8. Islamabad 1990, S. 1 - 27 AHMED, M. D., Islamisierung in Pakistan. In: Conrad, D.; Zingel, W.-P. (eds.): Pakistan : zweite Heidelberger Südasiengespräche. In: Beiträge zur Südasienforschung; 150. Stuttgart 1992, S. 69 - 76 AHMED, M.D., Pakistanisch-afghanische Beziehungen. In: Newman, K. J. (ed.), Pakistan : 35 Jahre nach der Staatsgründung - Staatskonzept und islamisches Selbstverständnis, Sicherheitsprobleme, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. In: Schriftenreihe des Deutsch-Pakistanischen Forum e.V.; 6. Hamburg 1983, S. 219 - 236 ALI, T., Can Pakistan survive? : the death of a state. Harmondsworth [u. a.] 1983 AMIN, T., Ethno-national movements of Pakistan : domestic and international factors, with epilogue on 1988 elections. Islamabad o. J. [ca. 1989] AUMÜLLER, J., Ethnischer Regionalismus und Islam : Das Problem der politischen Legitimität in Pakistan unter Bhutto und Zia-ul Haq. In: Ethnizität und Gesellschaft : Occasional Papers; 8. Berlin 1988 AYUB KHAN, Erinnerungen und Bekenntnisse. Tübingen [u. a.] 1968 BANUAZIZI, A.; WEINER, M. (eds.), The state, religion, and ethnic politics : Pakistan, Iran, and Afghanistan. Lahore [u. a.] 1987 BHUTANI, D. H., The future of Pakistan. New Delhi 1984 CHAKRAVARTY, S. R. The Pashtoon national movement. In: Foreign Affairs Report, New Delhi, 25(1976)1 [CHAND, A., India, Pakistan and Afghanistan : a study of freedom struggle and Abdul Ghaffar Khan. New Delhi 1989] DJAN-ZIRAKYAR, R. R., Stammesgesellschaft, Nationalstaat und Irredentismus am Beispiel der Paschtunistanfrage. Frankfurt am Main 1978 ESPOSITO, J. L., Islam : ideology and politics in Pakistan. In: Banuazizi, A.; Weiner, M. (eds.), a.a.O., S. 333 - 369 FARR, G. M., The effect of the Afghan refugees on Pakistan. In: Baxter, C. (ed.), Zia’s Pakistan : politics and stability in a frontline state. Lahore [u. a.] 1985, S. 93 - 110 FARR, G. M.; MERRIAM, J. G., Introduction. In: Farr, G. M.; Merriam, J. G. (eds.), Afghan resistance : the politics of survival. Lahore 1988, S. 1 - 19 HARRISON, S. S., Ethnicity and the political stalemate in Pakistan. In: Banuazizi, A.; Weiner, M., a.a.O., S. 267 - 298 JANSSON, E., The Frontier Province : Khudai Khidmatgars and the Muslim League. In: Low, D. A. (ed.), The political inheritance of Pakistan. London [u. a.] 1991; S. 194 - 217. [PYARELAL, N., Thrown to the wolves. Calcutta 1966] RIZVI, H.-A., The paradox of military rule in Pakistan. In: Asian Survey, Berkeley, 24(1984)5, S. 534 - 555 SAYEED, KH. B., The historical origins of some of Pakistan’s persistent political problems. In: Wilson, A. J.; Dalton, D. (eds.), The states of South Asia : problems of national integration, essays in honour of W. H. Morris-Jones. London [u. a.], Second impression 1989, S. 27 - 44 SAYEED., KH. B., Pakistan in 1983 : internal stresses more serious than external problems. In: Asian Survey, Berkeley, 24(1984)2, S. 219 - 228 TALBOT, I., Planning for Pakistan : the Planning Committee of the All-India Muslim League 1943 - 46. In: Modern Asian Studies, Cambridge [u. a.], 28(1994)4, S. 875 - 889 [TENDULKAR, D. G., Abdul Ghaffar Khan : faith is a battle. Bombay 1967] TEGEY, H.; TEGEY, M. E., Foreword. In: Farr, G. M.; Merriam, J. G. (eds.), a.a.O., S. IX - XII.
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