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Afghanistan 4

 
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Wessen Krieg und - wofür ?

Auch die Afghanistan-Erinnerungen von Generaloberst B. V. Gromov, der mehr als fünf Jahre in Afghanistan tätig war, zuletzt als Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte, lassen wichtige Fragen, nicht zuletzt die der tatsächlichen Mitverantwortung der sowjetischen Militärführung am Krieg in Afghanistan noch teilweise unbeantwortet.

Zum Buch "Das begrenzte Kontingent" von Boris V. Gromov,
Moskva, 1994; 352 S.; in russischer Sprache.

In der Überzeugung, daß nur diejenigen fähig seien, die Wahrheit über die Ereignisse im Afghanistan-Krieg zu berichten, die an ihnen teilgenommen haben, entstand ein Buch, gewidmet "den sowjetischen Soldaten, die in Afghanistan umkamen und denen, die es überlebten" (Titelseite).

Leider bleibt Boris Gromov, einer der prominenten Gegner eines militärischen Vorgehens Rußlands gegen die Bemühungen um eine Selbständigkeit Tschetscheniens (er gehört zu den Spitzenmilitärs, die die Lehren des Krieges in Afghanistan ernst zu nehmen scheinen), hinter seinem Anspruch einer klaren, umfassenden Darstellung der Ereignisse, an denen er erheblichen Anteil hat, zurück.

Die Veröffentlichung geheimster Dokumente aus dem ZK der KPdSU (vgl. S. 23 ff.; leider ohne genauere Quellenangaben von Seiten des Buchautors) ist eben nur ein Schritt zur Wahrheitsfindung über die moralische und politische Verantwortung für den Beschluß, in Afghanistan militärisch zu intervenieren. Wenn gleichzeitig eine kritische Auswertung entsprechender Dokumente der militärischen Führung, dem Ministerium für Verteidigung der UdSSR sowie dem Generalstab der sowjetischen Streitkräfte unterbleibt (wie in diesem Band), bleiben das Bild unvollständig und etliche Fragen auch weiterhin ungeklärt.

So entsteht zunehmend der Eindruck, als sei der Beschluß zur militärischen Intervention auf der politischen Ebene der (engsten) sowjetischen Staats- und Parteiführung gefaßt und dabei der gegenteiligen Meinung von Militärs nicht genügend Aufmerksamkeit zuteil geworden (s. u.a. S. 245). Gromov kann sich hierbei nicht zuletzt auch auf den Bericht des Komitees des Obersten Sowjets für internationale Angelegenheiten sowie einen Beschluß des zweiten Kongresses der Volksdeputierten der UdSSR, beide vom 24. 12. 1989 [1], und, nicht zuletzt, auf Äußerungen des ehemaligen Leiters der Operativen Gruppe des Ministeriums für Verteidigung beim Kommando der sowjetischen Streitkräfte in Afghanistan und späteren stellvertretenden Verteidigungsministers, Armeegeneral Valentin I. Varennikov [2] stützen. Unklar bleibt dennoch auch in diesem Buch, unter welchen Umständen von welchem Personenkreis wann die militärische Variante des Eingreifens wirklich gewählt wurde (s. auch den großen zeitlichen Sprung von Juni 1979 bis Dezember 1979 in der chronologischen Dokumentation; S. 83). Nachweislich hat sich die Politbürospitze der KPdSU u.a. im März 1979 mit diesem Problem auseinandergesetzt und es zu diesem Zeitpunkt offiziell abgelehnt, sowjetische Kampftruppen zu entsenden (vgl. u.a. S. 78; 82 - 83; s. auch Übersetzung in MAHFEL Nr. 2/1995; S. 16f.). Dem steht die von Gromov angeführte Bemerkung von Oberst Valerij I. Mironov (seinerzeit Kommandeur der 108. Division) über die ersten Tage des Ausrückens der sowjetischen Truppen nach Afghanistan gegenüber, mit der er feststellt, daß die Vorbereitungen hierfür "fast ein Jahr" in Anspruch genommen hätten (S. 115).

Neben den vom Autor angeführten militärischen Details, die z. T. bereits seit längerem bekannt sind (Bewaffnung, Dislozierung der Streitkräfte etc.) wird dem Verhältnis zwischen den sowjetischen Streitkräften und der Kabuler DVPA-Regierung sowie der Moskauer Zentrale große Aufmerksamkeit gewidmet.

Der Autor äußert sich bezüglich der Tätigkeit des sowjetischen Oberkommandos relativ zurückhaltend. Alle Aktivitäten werden in direkten Zusammenhang mit Bitten der Kabuler Regierung bzw. direkten Befehlen aus Moskau gesetzt ("... alle Beschlüsse bezüglich Afghanistans wurden in Moskau gefaßt. ... Vor allem - in der Kommission des Politbüros für Afghanistan." [3] - S. 242). Alle von sowjetischen Einheiten durchgeführten Militäroperationen hatten nach den Worten Gromovs entweder Abschreckungs- oder aber Antwortcharakter (auf Aktionen der im Buch zumeist als "Bandenformationen" oder "Duschmanen" bezeichneten Mudshahedin - S. 332). Militärische Operationen sollten demnach nur dazu dienen, Angriffe auf sowjetische Garnisonen, Automobilkolonnen u.ä. sowie die entsprechenden Kommunikationsmittel "auszuschließen" (ebenda).

Häufig berichtet Gromov, daß Kampfhandlungen auf Bitten der Kabuler Regierung direkt an Moskau (unter Umgehung des sowjetischen Befehlshabers in Afghanistan) oder an die Vertreter des KGB bzw. des sowjetischen Innenministeriums in Kabul durchgeführt werden mußten. Gromov wirft der damaligen afghanischen Regierung regelmäßig vor, die bei solchen Aktionen erreichten militärischen Erfolge nicht praktisch genutzt oder dauerhaft erhalten zu haben. Er verurteilt scharf ihren Führungs- und Lebensstil (vgl. u.a. S. 243) ohne gleichzeitig die "Allmacht"[4] der sowjetischen Berater eben jener afghanischen Politiker einer kritischeren Betrachtungsweise zu unterziehen.

Boris Gromov schildert in Ansätzen auch das psychologische Dilemma der in Afghanistan stationierten Einheiten. Die Präsenz der Truppen, der die übergroße Mehrheit der Bevölkerung ebenso feindlich gegenüberstand wie der Regierung in Kabul (dies war sowjetischen Analytikern bereits 1980 klar - S. 121), erschien auf Dauer sinnlos, zumal die erhofften Ergebnisse ausblieben. Die Angst, unter Umständen nicht am Leben zu bleiben, wirkte schwer. Andererseits wollte man aber die (von so vielen heftig bekämpfte) Revolution im Nachbarland nicht dem Untergang preisgeben. Die Schuld am Scheitern schließlich trägt nach Gromovs Auffassung der afghanische DVPA- bzw. Regierungsapparat, dessen mächtige, nach Gromovs Urteil weitgehend fehlerlos arbeitende Stütze schließlich die 40. Armee war. Deutlich wird, daß der Militär Gromov nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen: "Das Begrenzte Kontingent der sowjetischen Streitkräfte meisterte glänzend die gestellte Aufgabe im Verlauf einiger Monate nach dem Einzug in Afghanistan. Unsere Soldaten taten alles dafür, daß die April-Revolution nicht sterbe. Die Führung der DVPA erhielt die Möglichkeit, ihre Positionen im Land zu festigen und zu tun, was sie als notwendig erachteten [5]. Jedoch, die Führer des Kabuler Regimes verstrickten die 40. Armee geschickt genug in einen Partisanenkrieg breiten Ausmaßes. Die Ereignisse unnötig dramatisierend, benutzte die Regierung Afghanistans bis zum letzten Tage alle Mittel, um nur nicht dieser übermächtigen Stütze, als die sich die 40. Armee erwies, verlustig zu gehen." (S. 245).

Die afghanische Opposition wird von Gromov im wesentlichen aus der Sicht der militärischen Gegnerschaft betrachtet. Die knappen, teilweise biographischen Berichte über solche wichtigen Führungspersonen der verschiedenen Parteien und Oppositionsgruppen wie Mas'ud, Gailani, Modshadedi, Rabbani, Hekmatyar und Nabi enthalten die für den Autor als Militär wichtigen Punkte, reduzieren diese Personen in der Regel in ihrer Bedeutung auf militärische Größen, deren politische Zielsetzungen undeutlich zu sein scheinen. Es findet keine Auseinandersetzung mit Motivationen, Inhalten und Zielen des politischen und bewaffneten Widerstandes statt, die unverständlich erscheinen.

Mehr Wert legt der Autor statt dessen auf die "praktische" Seite, d.h. die militärischen Operationen, die Bestrebungen der sowjetischen Militärs und Berater, Konflikte innerhalb der Opposition auszunutzen sowie die Bemühungen um Kontaktaufnahme seitens der sowjetischen Armeeführung mit Oppositionsführern und Feldkommandanten mit dem Ziel, Kampfhandlungen zu vermeiden, den Transport von humanitären Gütern zu ermöglichen u.ä. Gromov berichtet über umfangreiche, zum Teil sehr beständige Kontakte sowjetischer Offiziere mit Vertretern des Widerstandes ("In den neun Jahren in Afghanistan gab es meines Erachtens nicht eine kleine, mittlere oder große Bandenformierung der Mudshahedin, deren Führer nicht wenigstens einmal eine Vereinbarung über Zusammenarbeit mit dem Kommando der 40. Armee unterzeichnet hätten." - S. 264. ). Als besonders dauerhaft werden u.a. diejenigen in den Regionen entlang der sogenannten Straße des Lebens Kabul - Salang - Termez, in Pul-e Khumri, Dshabal-Ussaradsh bezeichnet.

Ungeachtet der von Gromov mehrfach als sehr befriedigend bezeichneten militärischen Ergebnisse der sowjetischen Truppen in Afghanistan wird ihr Abzug aus dem Land letztendlich als logische und absehbare Folge einer ruinösen, in der Sackgasse geendigten Politik bewertet. Insgesamt bleibt das Resultat auch für Boris Gromov ein verheerendes. Die gezählten und ungezählten, vielfach namenlosen Opfer dieses Krieges, die Millionen Flüchtlinge, zerstörte und verminte Landstriche sprechen eine deutliche Sprache. Dem verschließt sich auch Gromov grundsätzlich nicht. Die Verurteilung der sowjetischen militärischen Intervention durch ihn ist klar und unter dem Eindruck der Erfahrungen durchaus ernst zu nehmen.

Unter der Frage: "Was weiter?" schreibt Gromov schließlich [6]:

"Neun Jahre des Krieges, Tausende umgekommene Soldaten und Offiziere, der Gram der Mütter, die unzählbaren Ausgaben für die Versorgung der afghanischen Bevölkerung und Entwicklung der Wirtschaft... Ist es nicht alles umsonst? Nein. Wie bitter es auch sein mag, doch heute müssen wir zugeben: Afghanistan wurde für viele, vor allem aber auch uns selbst zum deutlichsten Beispiel dafür, daß Methoden der Gewalt für die Lösung politischer Probleme perspektivlos sind. Die heutigen und zukünftigen Politiker, sollten meines Erachtens ständig daran denken, daß es zwischen einem Ziel und den Mitteln seiner Erreichung keinen Riß geben darf. Nur gegenseitiges Einvernehmen, nur Verhandlungen, nur die Erzielung von Kompromissen helfen, aus einer Sackgasse herauszukommen. Das ist der einzig wahrhaftige Weg bei der Lösung beliebiger, auf den ersten Blick schwieriger Probleme. Anderenfalls werden selbst die besten Absichten keine Garantie gegen das Anwachsen der Opfer von bewaffneten Konflikten sein. Das Ignorieren der afghanischen Erfahrungen der Regulierung innenpolitischer Probleme, beispielsweise durch die jetzigen Führer der ehemaligen Sowjetrepubliken, führte dazu, daß allein 1992 im Ergebnis zwischennationaler Konflikte mehr als 150 000 unserer Landsleute ums Leben kamen. Das ist zehnmal mehr als während der neun Jahre des afghanischen Krieges!

Die Entfesselung des afghanischen Krieges erwies sich als eine der unpopulärsten Entscheidungen der sowjetischen Regierung. Die militärische Einmischung in die afghanische Krise war der Grund für eine heftige Verurteilung der Außenpolitik der Sowjetunion seitens der internationalen Partner. Gleichzeitig ertönten immer häufiger die Stimmen des Protestes innerhalb des Landes. Schließlich war die sowjetische Regierung gezwungen, sich mit einem Truppenabzug aus Afghanistan einverstanden erklären, was seinerseits die zentrifugalen Tendenzen verstärkte. Der ungestüme Zerfall, zunächst des sozialistischen Lagers und schließlich, im Dezember 1991, auch der Sowjetunion - dies ist nur die Folge der tiefsten Krise, in der sich die Führung des Landes, ja und auch das gesamte System befand. Auf diese Weise erweist sich das politische Fiasko des afghanischen Unternehmens als eben jener Stein des Fundamentes, infolge dessen Verlustes das über siebzig Jahre gebaute Gebäude zusammenbrach."

Anmerkungen:

[1] Siehe "Vestnik Ministerstva inostrannych del SSSR", No. 2 (60), 31. 01. 1990; S. 14f.

[2] Vgl. das Interview mit V. I. Varennikov in "Ogonjok", Moskva, No. 12 / 1989; S. 6ff.

[3] Mitglieder der Kommission waren der Außenminister, der Vorsitzende des Komitees für Staatliche Sicherheit (KGB), der Minister für Verteidigung sowie der Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen des ZK der KPdSU.

[4] "Keine einzige Frage wurde gelöst und konnte nicht gelöst werden ohne Teilnahme der Sowjetischen." (S. 241). Vgl. auch S. 99.

[5] Pluralform im Originaltext.

[6] Ungekürzte Übersetzung: "Šchto dal'še?", S. 337.

Ralph Kühn.

Zuerst veröffentlicht in "Mahfel - Nachrichten aus West- und Mittelasien"; Berlin, Nr. 48 [5/1995].

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